His Glanzzeit Bild 08Viele Fragen zur Lage und Geschichte der Bahnstrecken im Süden Lübecks

Erstellt am Sonntag, 26. Mai 2013
Geschrieben von Jens Krause

Mit Inbetriebnahme des heutigen Hauptbahnhofes der Hansestadt Lübeck am 1. Mai 1908 fand der Umbau der Eisenbahn-Anlagen im Bereich der Hansestadt Lübeck ein gutes Ende. Die Jahre zuvor waren durch zahlreiche Provisorien und Kompromisse gekennzeichnet. Denn der Platz für den im Laufe der Jahre immer mehr zunehmenden Eisenbahn-Verkehr reichte im Bereich des ersten Lübecker Bahnhofes, direkt am Holstentor gelegen, schon lange nicht mehr aus.

Die nach Abschluss der Umbauarbeiten bis heute in Nutzung stehenden Eisenbahn-Anlagen sind bekannt. Wie aber sah die Situation vorher aus? Informationen zu dieser Frage sind nur sehr wenig und wenn dann sehr bruchstückhaft zu finden. Mit den folgenden Ausführungen soll versucht werden, hier etwas Klarheit zu schaffen. Und wenn auch angesichts nicht vorhandener Quellen zahlreiche Fragen offen bleiben müssen, so sollen doch wenigstens diese Fragen benannt werden.

Um die Örtlichkeiten zu lokalisieren, wird ein Ausschnitt einer Karte aus dem Jahr 1893 genutzt, die aus der Sammlung von Harro Rhenius stammt.

In diese Karte wurden zur Erleichterung der Orientierung die Groß-Buchstaben (A) bis (H), (L) bis (N) sowie (X) und (Y) eingefügt.

Luebeck Sued 1893 mit Punkten 850

Der Karten-Auschnitt zeigt die damalige Lübecker Vorstadt (heutiger Stadtteil) St. Jürgen. Von Punkt (X) im Norden nach Punkt (Y) im Süd-Westen verläuft die Cronsforder Allee.

Wir befinden uns damit für damalige Verhältnisse weit außerhalb der eigentlichen Stadt Lübeck und auch weit in südlicher Richtung vom Bahnhof Lübeck entfernt. Der Punkt (A) gibt in etwa die Lage des heutigen Berliner Platz in Lübeck wieder.

Von Punkt (A) nach Punkt (B) verläuft die Trasse der am 15. Oktober 1851 eröffneten Bahnstrecke von Lübeck nach Büchen, die der Hansestadt Lübeck ihren ersten Eisenbahnanschluss brachte. Diese eingleisige Bahnstrecke wurde von der Lübeck-Büchener Eisenbahn (LBE) gebaut und betrieben.

Von Punkt (A) nach Punkt (H) verlaufen die beiden Gleise der am 1. August 1865 eröffneten Bahnstrecke von Lübeck nach Hamburg.

Von Punkt (A) nach Punkt (K) und damit entlang der Punkte (E) – (N) – (L) – (M) verläuft die am 1. Juli 1870 eröffnete Bahnstrecke von Lübeck nach (Bad) Kleinen in Mecklenburg. Diese Strecke wird im Gegensatz zu den zuvor genannten Bahnstrecken nicht von der Lübeck-Büchener Eisenbahn (LBE) betrieben. Der Betreiber ist vielmehr die Mecklenburgische Friedrich-Franz Eisenbahn (MFFE). (Anmerkung: Der genaue Name der MFFE hat mehrere Male gewechselt. Da dies aber für das hier zu behandelnde Thema keine Bedeutung hat, wird ausschließlich der Name MFFE benutzt.)

Der Punkt (L) stellt den heutigen Bahnübergang (BÜ) Dorfstraße dar, der Punkt (K) den heutigen BÜ Mönkhofer Weg, wo sich heute der Haltepunkt „Lübeck St. Jürgen“ befindet.

Da der Platz am (ersten) Lübecker Bahnhof so knapp bemessen war, musste die MFFE offensichtlich weit außerhalb in der Vorstadt St. Jürgen für ihre Fahrzeuge ein eigenes Bahnbetriebswerk (BW) anlegen, siehe Punkt (E). Alle bekannten Karten aus der Zeit ab 1870 weisen für diese Anlage einen überraschend großen Rundlokschuppen mit Drehscheibe sowie diverse Nebengebäude aus. Das Mecklenburgische BW befand sich auf dem heute durch die Siedlung Friedrichstraße mit der Kreuzkirche genutzten Gelände, wobei die Friedrichstraße, ausgehend von der Cronsforder Allee, offensichtlich die Zuwegung zu dem Bahnbetriebswerk darstellte.

Nicht verwechselt werden darf das Mecklenburgische BW, Punkt (E), mit der Hauptwerkstätte der LBE, Punkt (D). Gebäude dieser ehemaligen Hauptwerkstätte, später als Ausbesserungswerk Lübeck bezeichnet und im Jahre 1959 von der Deutschen Bundesbahn für den Eisenbahn-Betrieb außer Dienst genommen, sind auch heute noch (an der Ecke Berliner Straße / Kronsforder Allee) vorhanden.

Bei dem durch den Punkt (C) gekennzeichneten Bereich dürfte es sich um den sogenannten „Rangirbahnhof Genin“ der LBE handeln. Auch dieser musste angelegt und ständig erweitert werden, da im Bereich des Lübecker Bahnhofes am Holstentor kein Platz vorhanden war.

Kehren wir nun aber noch einmal in den Bereich des Mecklenburgischen BW zurück:

Zwischen den Punkten (H) und (N) sind die Bahnstrecken Lübeck – Hamburg auf einen Seite und Lübeck – Mecklenburg auf der anderen Seite miteinander verbunden. Es existierte hier also ein echtes Gleisdreieck. Unter Umgehung der Hansestadt Lübeck waren also offensichtlich direkte Zugsfahrten zwischen Hamburg und Mecklenburg möglich oder sollten möglich gemacht werden. Die Existenz dieser direkten, Lübeck umgehenden Gleisverbindung ist so gut wie unbekannt. Oder sollte man besser sagen: Sie ist so gut wie in Vergessenheit geraten. Dabei stellt diese Gleisverbindung zwischen den Punkten (H) und (L) nicht anderes dar, als die auch heute noch genutzte Bahnverbindung von Lübeck nach Mecklenburg. Unbekannt ist, wann genau (nach 1870) diese Gleisverbindung angelegt wurde, von welcher Bahngesellschaft (LBE oder MFFE) sie betrieben wurde, von welcher Art Zugsverkehr sie genutzt wurde, ob es sich um ein (entsprechend gesichertes) Streckengleis handelte oder ob es sich einfach nur ein Verbindungsgleis für Rangierfahrten zwischen zwei Bahnhofsteilen handelte.

Und es wird noch komplizierter: Die Gleisverbindung zwischen den Bahnstrecken nach Hamburg und nach Mecklenburg hat in der Höhe der Punkte (F) und (G) die Bahnstrecke von Lübeck nach Büchen (die LBE-Stammstrecke) gekreuzt. Wer diese Stelle (in unmittelbarer Nähe befindet sich heute die Kreuzkirche) heute kennt, wird sagen, dass diese Kreuzung höhenfrei erfolgt ist. Das heißt, dass die LBE-Stammstrecke mittels einer Brücke über die Verbindungsstrecke (zwischen den Punkten (H) und (N)) geführt wurde.

Das Studium alter Karten wie beispielsweise der vorliegenden Karte von 1893 lässt hier aber erhebliche Zweifel aufkommen. Handelte es sich etwas tatsächlich um eine höhengleiche Schienen-Kreuzung? Und wenn dem wirklich so war: Wie war dann diese Kreuzung gesichert, damit es nicht zu Zusammenstößen kommen konnte? Die vorliegende Karte von 1893 weist an der Kreuzung der LBE-Stammstrecke mit dem Verbindungsgleis zwischen der Hamburger und der Mecklenburger Strecke ein Bahnwärterhaus (auf der vorliegenden Karte nur schwer zu erkennen durch die Kennzeichnung „B.W.“) aus. Dieses liegt südlich des Verbindungsgleises und westlich der LBE-Stammstrecke. Und noch ein Detail gibt die Karte Preis: Das Verbindungsgleis weist zwischen Punkt (H) und Punkt (F) zwei Gleise aus. Zwischen Punkt (F) und Punkt (G), also im Bereich der höhengleichen Schienen-Kreuzung, scheint es dagegen nur ein Gleis zu geben. Östlich von Punkt (G) sind dann wieder mehrere Gleise eingezeichnet. Hier erstreckt sich dann bis etwa zum Punkt (K) der sogenannte „Mecklenburgische Rangirbahnhof“, dessen Lage in der Karte durch den Punkt (M) gekennzeichnet ist.

Der Mecklenburgische Rangirbahnhof hat offensichtlich nicht viele Gleise besessen. Sein betrieblicher Zweck kann auch wieder nur durch den nicht vorhandenen Platz am ersten Lübecker Bahnhof am Holstentor begründet werden. Das Gelände des Mecklenburgischen Rangirbahnhofes ist als Brachland auch heute noch entlang der Bahnstrecke von Lübeck nach Mecklenburg zwischen dem Punkt (L), BÜ Dorfstraße, und dem Punkt (K), BÜ Mönkhofer Weg, durch die in diesem Bereich zurückgesetzte Lage der Kleingärten erkennbar.

Insbesondere zu den ehemaligen Mecklenburger Bahnanlagen in der Lübecker Vorstadt St. Jürgen sind so gut wie keine Quellen bekannt. Bei dem vorhandenen Karten-Material handelt es sich ausschließlich um topografische Karten. Bahnamtliche Unterlagen, insbesondere bahnamtliche Karten, sind offensichtlich nicht einmal im Mecklenburgischen Landesarchiv in Schwerin zu finden.

Wie bereits angedeutet, können deshalb viele Fragen nur gestellt nicht aber abschließend beantwortet werden. Trotzdem soll an dieser Stelle der Hoffnung Ausdruck verliehen werden, dass sich vielleicht doch noch irgendwo weitere Quellen zum Thema der „Bahnanlagen vor 1908 im Süden der Hansestadt Lübeck“ finden und erschließen lassen.

Deshalb soll es wie immer am Schluss heißen:

Berichtigungen und Ergänzungen zum Thema werden immer gerne entgegengenommen!