His Glanzzeit Bild 08Das Zugpaar 340 / 341 – mehr als 10 Stunden mit der LBE unterwegs

Was soll diese Überschrift sagen – was meint der Schreiber? Die längste Strecke der LBE ist doch nur etwas über 80 km lang. Selbst mit dem langsamsten Zug konnte diese Strecke doch in maximal drei Stunden zurückgelegt werden. Und was sagen die Zugnummern in diesem Zusammenhang?

Anlass mich mit diesen beiden Zügen noch näher zu befassen war das nachfolgende Foto, das mir von Herrn Ludwig Keller freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde:

LBE S10.2 Nr.16 1929 vmtl.mit P341 ausf. Hamburg Hbf Slg.L.Keller 850

LBE S10² Nr.16 verlässt im Jahr 1929 Hamburg Hbf mit Personenzug in Richtung Lübeck; Foto Slg.L.Keller

Wir freuen uns über ein weiteres Foto einer der beiden 1924/25 in Dreizylinderlok umgebauten Vierlings-Loks von 1919. Die Tatsache, dass das Bild bei Sonnenschein aufgenommen wurde bietet nun aber die Möglichkeit, auch die Uhrzeit der Aufnahme aus dem Schattenwurf zu ermitteln: es ergibt sich, dass die Aufnahme zwischen 10 und 11 Uhr vormittags aufgenommen worden sein muss. Ein Blick ins Kursbuch verrät nun, dass in diesem „Zeitfenster“ nur ein einziger Personenzug in der Kursbuchtabelle (1927) für die Strecke Hamburg – Lübeck zu finden ist: der (P)341 nach Stettin, Hamburg Hbf ab 10:25, Stettin Hbf an 20:28. Sofern hier nicht zufälligerweise doch ein Sonderzug zur Ostsee abgelichtet wurde, kann es sich nur um den Zug 341 handeln.

Dabei wird dieser Zug, wie mit der Reichsbahn vertraglich vereinbart, aus Wagen der LBE gebildet; das gleiche gilt im Übrigen für den D1/D2 Hamburg – Stettin. So gesehen sind die Fahrgäste von Hamburg bis Stettin über 10 Stunden mit der LBE unterwegs. Im Gegenzug stellt die Reichsbahn den Wagenpark für durchlaufenden Personenzüge, die auf der LBE-Stammbahn (Lübeck – Büchen) von und nach Lüneburg über Lauenburg verkehren, sowie für einige weitere Züge, die die LBE-Strecken befahren. Man spricht dabei vom Achskilometer-Ausgleich, sozusagen ein bargeldfreier Austausch von Wagen in durchlaufenden Zügen.

Betrachtet man den Zuglauf des Zug 341 über die ganze Strecke von immerhin 361 km, so kann man feststellen, dass er wirklich an allen Unterwegs-Stationen hält, aber selbst an den größeren Knotenbahnhöfen nicht besonders lang, sodass man nicht sicher sagen kann, ob und wo eventuell ein Lokwechsel stattgefunden haben mag – sicher ist nur der Lokwechsel in Lübeck, weil dort die Fahrtrichtung gewechselt werden musste: (1927)
    
    Hamburg Hbf  ab 10:25 – Lübeck an 11:55 / ab 12:02 (7 Minuten) –

    Bad Kleinen 13:44 / 13:56 (12 Minuten) – Bützow 14:57 / 15:06 (9 Minuten) –
   Güstrow 15:22 / 15:31 (9 Minuten) – Neubrandenburg 17:40 / 17:54 (14 Minuten) –
   Strasburg 18:49 / 18:54 (5 Minuten) – Pasewalk 19:19 / 19:24 (5 Minuten) –
   Stettin Hbf  an 20:28  (Summe der längeren Aufenthalte = 61 Minuten = 1 Std, 1 Min)

Vermutlich war der Zug von Lübeck bis Stettin durchgehend mit einer P8 (BR 38.10-40) des Bw Neubrandenburg bespannt (D1 und D2 wurden mit S10.1 / BR 17.10 desselben Bw bespannt). Bemerkenswert ist die Reise-Geschwindigkeit, die gerade einmal 36 km/Stunde beträgt. (D1 braucht 1927 für die gleiche Strecke 6 Stunden und 16 Minuten, was einer Reise-Geschwindigkeit von gerade einmal 57,5 km/h entspricht.)

Der Gegenzug mit der Nr.340 fährt im Jahr 1927 morgens um die gleiche Uhrzeit, nämlich um 10:26 Uhr von Stettin Hbf ab, erreicht Hamburg Hbf jedoch erst um 23:17 Uhr, also nach 12 Stunden und 51 Minuten, was einer Reisegeschwindigkeit von nur mehr 28 km/h entspricht. „Schuld“ an dieser deutlich längeren Fahrtzeit sind mehrere lange Aufenthalte an den oben bereits aufgezählten Knotenbahnhöfen:

     Stettin Hbf  ab 10:26 – Pasewalk 11:29 / 12:02 (33 Minuten) –
     Strasburg 12:30 / 12:32 (2 Minuten) – Neubrandenburg 13:23 / 15:05 (1 Std, 42 Min) –
     Güstrow 17:11 / 17:27 (16 Minuten) – Bützow 17:41 / 17:52 (11 Minuten) –
     Bad Kleinen 18:53 / 19:17 (24 Minuten) – Lübeck 21:12 / 21:35 (23 Minuten) –
     Hamburg Hbf  an 23:17 (Summe der längeren Aufenthalte = 211 Minuten = 3 Std, 31 Min)

Von diesem Gegenzug gibt es sogar Fotos, die wir Carl Bellingrodt verdanken und die ich hier mit freundlicher Genehmigung der Eisenbahn-Stiftung zeigen kann. Die beiden Fotos sind von Standpunkten entstanden, die nur wenige Meter auseinander liegen und sollen - nach den Aufzeichnungen - am selben Tag entstanden sein. Die abgebildeten Lokomotiven besaßen nach Bellingrodts Angaben unterschiedliche Nummern, obwohl die genaue Betrachtung ergibt, dass keine sichtbaren Unterschiede festzustellen sind, weder bei der Lok noch beim Zug. Ich bin daher der Ansicht, dass beide Fotos wenige Augenblicke nacheinander entstanden sind, dass beide die Lok 38 3663 zeigen, und eine der beiden Aufnahmen von diesem Zug durch einen zweiten Fotografen (höchstwahrscheinlich von Frau Bellingrodt?) gemacht wurde.

Die beiden jeweils nachfolgenden Abbildungen sind Ausschnittvergrößerungen!

38 1175 1935 07 01 mit P340 nach Hamburg bei Weitin 850

38-er (angebl. 38 1175) mit P340 am 01.07.1935 bei Weitin – Foto: C.Bellingrodt / Slg.Eisenbahn-Stiftung

Ausschnitt des obigen Fotos

38 1175 1935 07 01 mit P340 nach Hamburg bei Weitin Ausschnitt 850

 

38 3663 1935 07 01 mit P340 bei Weitin C.Bellingrodt EBStiftung 20 850

38 3663 mit P340 am 01.07.1935 (!?) bei Weitin nahe Neubrandenburg – Foto: C.Bellingrodt /Slg.Eisenbahn-Stiftung

Ausschnitt des obigen Fotos

38 3663 1935 07 01 mit P340 nach Hamburg bei Weitin Ausschnitt 2 850

Der Wagenpark besteht aus folgenden Fahrzeugen:
     3-achsiger Postwagen (bereits ohne Bremserhaus)
  + 3-achsiger Gepäckwagen (LBE Nr.1043 - 1054, WuMAG 1925-1929)
  + 3-achsiger 3.Kl.-Abteilwagen (aus LBE Nr.709 – 796, div.Hersteller 1908-1916)
  + 3-achsiger 2.Kl.-Abteilwagen (LBE Nr.155 – 162, Breslau 1924/1925)
  + 3-achsiger 3.Kl.-Traglastenwagen (C3tr; LBE Nr.903 – 923, Gotha 1906-1908
  + 3-achsiger 3.Kl.-Abteilwagen (aus LBE Nr.709 – 796, div.Hersteller 1908-1916)
  + 3-achsiger 3.Kl.-Abteilwagen (aus LBE Nr.709 – 796, div.Hersteller 1908-1916)
  + 3-achsiger 3.Kl.-Abteilwagen (aus LBE Nr.709 – 796, div.Hersteller 1908-1916).
Eine Zuordnung zu den Unterbauarten der 3.Klasse-Abteilwagen ist leider nicht möglich, da der Autor nicht über die Skizzen aus dem LBE-Wagenbuch verfügt.

Wenden wir uns nun noch einmal der Lok zu.

38 3663 1935 07 01 Ausschnitt Lok 1 C.Bellingrodt EBStiftung 201876   38 3663 1935 07 01 Ausschnitt Lok C 250


Wie wahrscheinlich ist die Annahme, dass es sich tatsächlich um ein und dieselbe Maschine handelt? Dazu vergleichen wir zunächst die auffälligeren Details, soweit diese erkennbar sind (nochmalige Detailvergrößerungen der Fotos von Carl Bellingrodt (Slg.Eisenbahnstiftung):

Die von Bellingrodt angegebenen Loknummern beziehen sich auf:

- 38 1175, ex 2480 Königsberg, Schwarzkopff F-Nr.4478/1910 (1925: Bw Insterburg)
- 38 3663, ex 3118 Elberfeld, AEG Nr.2324/1922 (1925: Bw Neubrandenburg)

Der Kessel der abgebildeten Lok entspricht in beiden Fällen der Bauform mit vornliegendem Dampfdom. Diese Bauform war bis 1918/19 gebräuchlich. Danach wurde zunächst der Speisewasserreiniger Bauart EZA eingeführt und der Dampfdom hinter den Sandkasten verlegt.
Ab 1921 wurde anstelle des Speisewasserreinigers, der keinen Dom sondern nur einen flachen Deckel am Kesselscheitel besaß, der Speisedom mit innenliegenden Rieselblechen eingebaut, dessen Verkleidung etwa dieselbe Größe wie der Dampfdom hatte. Allerdings war die ältere Kesselbauart durch Kesseltausch auch auf Lok aus Lieferungen nach 1918 durchaus gebräuchlich.

Das Triebwerk ist im linken, aus größerer Entfernung aufgenommenen Bild eigentlich nicht zu erkennen, dennoch ist der ab 1914 eingeführte, gegossene Steuerungsträger eindeutig auszumachen. Damit scheidet die von Carl Bellingrodt angegebene 38 1175 als mögliche Kandidatin mit Sicherheit aus!

Das Führerhaus mit dem durchgehenden Lüfterkasten ist wieder in beiden Bildern zu finden. Diese Führerhaus-Bauart ist eigentlich typisch für die Lokomotiven ab etwa Baujahr 1921. Führerhaus-Tausche kamen zwar durchaus vor, jedoch wurden m.W. keine Lokomotiven mit Hängeeisen-Steuerung (Bauform bis Mitte 1914) mit dieser letzten Bauart versehen.

Nun zu den kleineren Details, die beim Vergleich zweier Lokomotiven eigentlich immer Unterschiede zeigen. Hier finde ich jedoch einfach keine - selbst unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bildschärfe:
- elektrische Beleuchtung mit Einheitsloklaternen Bauart 1925;
- leere Konsole (vermutlich für die Glocke vorgesehen) vor dem Schornstein;
- blankgeputzte Griffstange an der Rauchkammertür;
- blankpoliertes Handrad am Speiseventil;
- Knorrvorwärmer mit prägnanter Maschinenabdampf-Zuleitung vorn (Rohrbogen);
- Speisepumpe mit blanken Spannbändern am Dampfzylinder;
- blankgeputzter Handlauf am Führerstand;
- gleichartig (hoch, weit vorn) geladene Kohle auf dem Tender.

Schließlich ist sogar die Rauchentwicklung – nur relativ dichter Qualm, kein sichtbarer Dampf – als gleichartig anzusprechen.

Daraus ergibt sich:
Es handelt sich also wie schon vermutet um ein und dieselbe Lok (mit großer Wahrscheinlichkeit wohl 38 3663), die am gleichen Tag, dem 01.07.1935, zweimal unmittelbar hintereinander aufgenommen wurde.

Die Ortsangabe ("bei Weitin") lässt sich mit Hilfe der im Internet frei verfügbaren Luftbilder bestätigen und noch präzisieren:
Die Aufnahmen sind nach rund 6 km Fahrt vom Bf Neubrandenburg in Richtung Westen vom Damm der heutigen B104 aus entstanden, die westlich der Ortslage von Weitin die Senke des Aalbachs und - auf einer Brücke - den Streckenabschnitt Neubrandenburg – Malchin überquert. Der Sonnenstand stimmt mit der regulären Fahrplanlage des P340 (1935: Neubrandenburg ab 15:09) überein, sodass auch der genannte Zug tatsächlich der P340 sein sollte.

Aus der Kohlenladung des Tenders würde ich noch schließen wollen, dass die Lok in Neubrandenburg neu vorgespannt hat, was bei einem Aufenthalt von über 1½ Stunden dann auch nicht verwunderlich ist. Ich möchte schließlich folgern, dass in beiden Fahrtrichtungen des Zugpaars 341/340 in Neubrandenburg wohl planmäßig Lokwechsel war. Daraus ergeben sich die Bespannungsabschnitte: Hamburg – Lübeck = 63 km, Lübeck – Neubrandenburg = 203,5 km und Neubrandenburg – Stettin = 94,5 km.

Wie sich die Fahrplanlage des Zugpaares über die Jahrzehnte entwickelte lässt sich aus den verfügbaren Kursbüchern belegen:

P 341  Hamburg Hbf *) – Stettin Hbf   *) 1905 noch ab Hamburg, Lübecker Bf.

Jahr

Hamburg

Lübeck

Zugkreuzung mit Zug 340

Neubrandenburg

Stettin

ab

an / ab

in Bf (an / ab)

an / ab

an

1905

10:31

12:07 / 12:22

Lalendorf (15:33/1535)

17:09 / 17:15

19:35

1914

10:30

12:02 / 12:10

Lalendorf (15:31/15:34)

17:09 / 17:17

 19:41

1917

10:30

12:02 / 12:10

Lalendorf (15:31/15:34)

17:09 / 17:17

 19:41

1927

10:25

11:55 / 12:02

Hohen Mistorf (16:xx/16:24)

17:25 / 17:40

20:28

1935

10:25

11:48 / 12:15

Lalendorf (15:46/15:48)

17:27 / 17:41

 19:49

1943

10:33

12:03 / 12:21

Teterow  (16:31/1635)

17:52 / 18:30

 21:12


P 340   Stettin Hbf – Hamburg Hbf

Jahr

Stettin

Neubrandenburg

Zugkreuzung mit 341

 Lübeck

Hamburg

ab

an / ab

 im Bf (an / ab)

an / ab

an

1905

10:50

13:30 / 14:04

Lalendorf (15:34/15:37)

 Zug endet in Bützow

 -

1914

10:48

13:15 / 14:04

Lalendorf (15:33/15:36)

18:38 / 18:45

20:12

1917

10:30

13:15 / 14:03

 Lalendorf (15:33/15:36)

18:43 / 18:52

20:26

1927

10:26

13:23 / 15:05

Hohen Mistorf (16:xx/16:23)

21:12 / 21/35

23:17

1935

10:38

13:37 / 15:09

Lalendorf (16:48/16:50)

20:38 / 21:49

23:11

1943

11:25

13:54 / 15:03

Teterow (16:28/16:36)

21:04 (Zug endet)

-


Außer dem Zugpaar P341/P340, an das ich hier aus Anlass der Vorstellung der Fotos erinnern wollte, gab es - neben dem bereits genannten Schnellzugpaar D1/D2 und bis zu zwei Eilzugpaaren (vgl. hierzu auch den Beitrag von Harro Rhenius: "Stettin - Lübeck - Hamburg und zurück per Taschenfahrplan Sommer 1935) - eine weitere durchgehende Personenzugverbindung auf der Strecke Hamburg – Lübeck – Stettin und zwar das Zugpaar P339/338. P 339 verließ Hamburg frühmorgens zwischen 5:30 und 6:15 und erreichte Stettin am späten Nachmittag zwischen 17 und 18 Uhr.  In der Gegenrichtung ging P 338 von Stettin zwischen 6 und 7 Uhr morgens ab und kam in Hamburg zwischen 17 und 18 Uhr an.

Angesichts der heute vorhandenen Autobahn-Verbindungen von West nach Ost und umgekehrt gibt es auf absehbare Zeit wohl keine Neuauflage umsteigefreier Zugverbindungen zwischen den Hansestädten an Elbe, Trave und Oder. Immerhin kann man diese Bahnreise aber wieder mehrfach täglich mit Umsteigen in Lübeck oder Bützow unternehmen und ist dabei mit einer Reisezeit zwischen 5 Stunden 10 Minuten und 5 Stunden 50 Minuten sogar schneller unterwegs als der durchgehende D1 im Jahr 1927.

Quellen:     Kursbuchsammlung der LBE-Freunde (Internet);
                  Lokdatenbank von Ingo Hütter (Internet);
                  Lokbestandsliste der DRG (mit Stationierungen) zum Stichtag 31.10.1925